Zusammengstellt von Wolf-D. Glockner
Rechtsanwalt
Einer der gewichtigen Unterschiede zwischen Vergaben im Oberschwellenbereich und im Unterschwellenbereich bildet die Informations- und Wartefrist vor der Vergabe eines Auftrags. Bei EU-weiten Vergaben müssen die erfolglosen Bieter nach § 134 GWB über die Gründe der Nichtberücksichtigung ihrer Angebote informiert werden. Anschließend gilt eine Wartefrist von 10 bzw. 15 Tagen, bevor der Zuschlag erteilt werden darf. Dadurch wird ein effektiver Rechtsschutz des erfolglosen Bieters vor der Vergabekammer ermöglicht.
Im Unterschwellenbereich gibt es eine solche gesetzliche Informations- und Wartepflicht des Auftraggebers vor Zuschlagserteilung nicht (§ 46 UVGO, § 19 VOB/A). Bei nationalen Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte wird der Zuschlag unmittelbar erteilt. Die erfolglosen Bieter können daraus, dass sie bis zum Ablauf der Zuschlags- und Bindefrist nichts gehört haben darauf schließen, dass ihr Angebot abgelehnt ist. Eine Begründung können sie nur im Nachhinein verlangen. Auch ein effektiver (Primär-)Rechtsschutz ist nicht gewährleistet, da ja der Auftrag bereits an den Wettbewerber vergeben ist.
Einen solchen alltäglichen Fall aus dem Unterschwellenbereich hatte das OLG Düsseldorf zu entscheiden (Beschluss v. 13.12.2017, 27 U 25/17). Eine Gemeinde hatte eine im städtischen Eigentum stehende Teilfläche eines ehemaligen Freibadgeländes zur Bewirtschaftung und zum Betrieb einem Förderverein überlassen. Gegen den Abschluss dieses Vertrages wandte sich ein österreichisches Unternehmen mit der Behauptung, es habe ein Interesse an dem nicht ausgeschriebenen Vertrag. Das Unternehmen beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Vor deren Erlass war der Vertrag jedoch bereits geschlossen worden. Das Landgericht hatte den Antrag abgelehnt. Das OLG Düsseldorf hat die hiergegen gerichtete Berufung der Antragstellerin nicht mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Vertrag bereits geschlossen ist, sondern weil es im konkreten Einzelfall am Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin fehlte, welche nicht hinreichend glaubhaft gemacht hatte, ein eigenes Interesse am Vertragsschluss zu haben.
Obwohl es hierauf nicht ankam, macht der 27. Senat des OLG Düsseldorf in dem Beschluss jedoch – möglicherweise bahnbrechende – Ausführungen zu einer Informations- und Wartepflicht im Unterschwellenbereich:
„Eine Vertragsnichtigkeit könnte allerdings daraus resultieren, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin weder über den beabsichtigten Vertragsschluss informiert, noch im Anschluss hieran eine angemessene Wartefrist eingehalten hat.
Nach der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union fordern die gemeinsamen Verfassungen der Mitgliedsstaaten und die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einen effektiven und vollständigen Schutz gegen Willkür des öffentlichen Auftraggebers. Dieser vollständige Rechtsschutz verlangt, sämtliche Bieter vor Abschluss eines Vertrages von der Zuschlagsentscheidung zu unterrichten. Ein vollständiger Rechtsschutz verlangt auch, dass zwischen der Unterrichtung abgelehnter Bieter und der Unterzeichnung des Vertrags eine angemessene Frist liegt, innerhalb der für den Bieter ein vorläufiger Schutz gewährt werden kann, wenn er für die volle Wirksamkeit der Entscheidung in der Sache erforderlich ist (EuG Urteil v. 20.09.2011, T-461/08). Im nationalen Recht ist dies ebenfalls bereits in einigen Rechtsgebieten anerkannt. Schon vor Einführung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen war nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei Beamten– und Richterbeförderungen die Informations- und Wartepflicht zu beachten (BVerWG Urteil v. 04.11.2010, 2 C 16/09). Zur Vergabe von Wochenmarktveranstaltungen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass effektiver Primärrechtsschutz es gebietet, mindestens zwei Wochen nach Information der Bewerber über den Ausgang des Auswahlverfahrens abzuwarten, bevor mit dem ausgewählten Bewerber der Vertrag geschlossen wird (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.11.2010, OGV 1 S. 107.10). Führt man diese Grundsätze konsequent fort, müsste, da nur dies effektiven Rechtsschutz sicher stellt, ein unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz als nichtig eingestuft werden.“ (OLG Düsseldorf Beschluss v. 13.12.2017, 27 U 25/17)
Diese Ausführungen des 27. Senats des OLG Düsseldorf rütteln an einem Grundsatz des Vergaberechts: Kein Primärrechtsschutz im Unterschwellenbereich. Auch in der UVgO hat der Gesetzgeber bewusst keine Informations- und Wartepflicht eingeführt, wie sie oberhalb der Schwellenwerte gilt. Den vom Senat aufgeführten gewichtigen Gründen, die für die Einführung einer Informations- und Wartepflicht auch im Unterschwellenbereich sprechen, ist das Interesse an einer effektiven Verwaltung gegenüber zu stellen. Problem wäre hierbei nicht, dass die Vergabestelle vor der Vergabe eine kurze Zeit, z.B. zwei Wochen warten müsste. Problem wäre vielmehr, das Rechtsmittel der unterlegenen Bieter aufschiebende Wirkung haben und der Vertrag solange nicht geschlossen werden kann, bis hierüber entschieden ist. Dies könnte zu einer Lähmung der Verwaltung führen. Es bleibt abzuwarten, ob der 27. Senat des OLG Düsseldorf seine Erwägungen in einer zukünftigen Entscheidung vertiefen und hierüber entscheiden wird oder andere Gerichte die Erwägungen des OLG Düsseldorf aufgreifen und fortführen.
Festzuhalten ist, dass das OLG Düsseldorf in der vorliegenden Entscheidung nicht abschließend über diese Frage entschieden hat, sondern ausdrücklich ausgeführt hat, dass diese Erwägungen im Streitfall keiner Vertiefung und Entscheidung bedurften.